Ihr Sinn liegt in meinem Schutz. Ich brauche das Trennende, um selbst ein Ich werden zu können. Sie versichern mir, was in ihnen liegt, ist mein Verantwortungsbereich, was außerhalb steht, gehört einem anderen. Sie verhindern Übergriffe anderer Menschen und bewahren meine emotionale und körperliche Integrität. Dank ihnen kann der Starke sich nicht einfach nehmen, was er möchte. Es gibt einen Raum, der nur von mir berührt und betreten werden kann. Es ist mir ein Refugium gegeben, mich zurückzuziehen und mit mir alleine zu sein. Ich darf eigene Gedanken bilden, Entscheidungen treffen, Gefühle erleben, ohne einem anderen Rechenschaft schuldig zu sein, in gänzlicher Freiheit.
Und doch ist da die Sehnsucht Grenzen einzureißen. Die Kehrseite der Sicherheit ist nämlich die Einsamkeit. Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist. So sehr ich mich um die Integrität meines Ichs sorge und dessen Entwicklung fördern möchte, weiß ich doch, ich kann nicht in mir isoliert bleiben. Erst in der Verbindung mit meinem Nächsten werde ich eine Vollständigkeit als Mensch erlangen. Die Herausbildung eines abgegrenzten Ichs ist nur der erste Schritt, um aus dem Kind, das sich mit seiner Mutter eins fühlte, herauszuwachsen und erwachsen zu werden. Der letzte Schritt aber führt mich zurück in die Gemeinschaft.
Und darum die innere Zerrissenheit, die Angst vor fallenden Grenzen und dennoch die Sehnsucht danach alles Trennende einzureißen. Nieder mit den Grenzen will ich rufen und verharre aus Angst vor Grenzüberschreitungen doch nur bei einem leisen Flüstern.
Ist Grenzenlosigkeit auf Erden vielleicht zur Utopie verdammt?
Nicht dort, wo es die Liebe gibt!
Und darum kennt die Bibel schon im Einswerden mit meiner Frau eine erste Erfahrung offener Grenzen und nutzt diese erlebbare Erfahrung als Bild für die Gemeinde und die Hoffnung auf eine grenzenlose neue Welt.
Diese nicht vergewaltigende, verbindende Liebe hat Jesus in ihrem Zentrum. Sie muss ihn in ihr Zentrum stellen, um Bestand haben zu können. Keine Unmittelbarkeit zwischen Mensch und Mensch ist uns möglich, aus eigener Kraft bleibt der Mensch dem Menschen ein Fremder und allzu oft ein Monster. Erst in der Vermittlung durch IHN zwischen uns erlischen die Grenzen, da er in uns beiden seine Gestalt aufrichtet, wir in ihm zu einer Einheit zusammenschmelzen, da wir ihn beide im Herzen wohnen haben. Erstreben wir Einheit mit Gott werden auch wir Menschen eins mit anderen Menschen. Die Liebe ist das Bindemittel, das sich über unsere Grenzen legt, die Mauern Stein für Stein abträgt und an ihrer Stelle bescheiden aber mit großer Kraft eine innige Verbundenheit aufbaut … bis am Ende der eine gar nicht mehr vom anderen getrennt werden könnte, ohne selbst ein Gliedmaß opfern zu müssen.
Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau;
Ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.
Galater 3,28
Innige Verbundenheit nur mit Gott möglich?
Nein – ich behaupte:
Unmittelbarkeit zwischen Mensch und Mensch, Innige Verbundenheit, gibt es auch unter Gaunern und ganz oft unter Menschen, die sich lieben und nicht an Gott glauben
Ich behaupte weiter:
In der Einheit mit Gott bist du mit ALLEN Menschen verbunden
Die Liebe zu einem Menschen ist die „Liebe mit Objekt“ – und sei das Objekt ein noch so toller Mensch – diese Liebe begrenzt, grenzt andere aus
Liebe zu Gott, Gottes-Liebe ist etwas anderes – „Liebe ohne Objekt“ – die Liebe an sich – die kein Gegenüber braucht und für die alles das Gegenüber sein kann
Mir drängt sich der Gedanke auf… könnte es sein, dass du Grenzen und Mauern verwechselst?
Deine natürlichen Grenzen beschützen dich vor Bedrohungen – sie können überschritten werden aber dann geht die Warn-Lampe an „Achtung Eindringling“ und Körper und Geist reagieren
Mauern halten unterschiedslos alles von dir fern und sie werden errichtet aus Angst
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https://ananda75.wordpress.com/2017/04/29/von-grenzen-und-mauern/
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