Heute haben meine Frau und ich uns die Romantikkomödie „Em@il für dich“ aus dem Jahr 1998 angeschaut, mit Tom Hanks und Meg Ryan in der Hauptrolle. Die kleine, familiäre Buchverkäuferin begegnet im Internet dem großen, alle Konkurrenz zermalmenden Buchdiscounter.
Hauptberuflich arbeite ich gewissermaßen im Auftrag der Digitalisierung. Es gehört zu meiner täglichen Arbeit diese weiter voranzubringen. Nun frage ich mich nach diesem Film, ob die heutige Digitalisierung wohl ein weiteres Kapitel der dort skizzierten Geschichte ist. Der Buchdiscounter selbst ist schon längst von der Zeit überholt worden und ein sterbendes Relikt. Dank der Digitalisierung sind nun Großkonzerne wie Amazon, Buch per Mausklick in Taschenbuchformat oder für den Kindle, die tonansagenden Gewinner.
Dass man beim Buchkauf zwischenmenschlichen Kontakt suchen könnte, wie es einst bei der kleinen Verkäuferin im Laden um die Ecke gewesen ist, für meine Generation schon fast nicht mehr vorstellbar. Es ist ein schöner Gedanke, aber ein so fremder, dass er ohne äußeren Impuls beinahe nicht mehr von alleine in den Sinn kommt. Ich will doch nur ein Buch erwerben, wozu brauche ich hierfür zwischenmenschliche Kontakte, Rezessionen und Bewertungen kann ich mir genauso gut im Internet heraussuchen und das nicht nur von einer einfachen Verkäuferin sondern – Google sei Dank – sogar von den Topkritikern des Landes.
Es ist ironisch, dass mich gerade dieser Film auf die benannte Parallele bringt. Im Film selbst wird nämlich die anbrechende Digitalisierung, getragen von den ersten privaten Modems und AOLs einst so bekanntem „Sie haben Post“, als eine Entwicklung skizziert, welche die außerhalb des Internets verfeindeten Parteien zwischenmenschlich zueinander führt, Dank der sie sich sogar ineinander verlieben. Aber angesichts der Entwicklungen, die ich von Berufs wegen beobachte drängt sich die Parallele auf. Online Vermittlungen ersetzen zunehmend persönliche Beratungsgespräche. Service wird nicht mehr mit Zwischenmenschlichkeit gleichgesetzt. In vielen Fällen kann eine gut programmierte Maschine wesentlich verlässlichere Dienstleistungen liefern als ein vergesslicher und tagesformabhängiger Mensch.
Die Digitalisierung wiederum ist nur ein Baustein eines anderen schon bedeutend älteren Großtrends: Der Automatisierung. Diese birgt auf der anderen Seite auch bedeutende Chancen. Die zu Karl Marx Zeiten vorherrschenden Arbeitsbedingungen und überhaupt die sinnentleerten, einfachen Jobs des damaligen Fabrikarbeiters gehören Dank Automatisierung und jetzt auch Digitalisierung zukünftig der Vergangenheit an. Das weckt einerseits Ängste vor steigender Arbeitslosigkeit, bei der demografischen Entwicklung Deutschlands können aber die positiven Effekte überwiegen: Übrig bleiben sinnfördernde Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Mensch auch in seiner ganzen Menschlichkeit tätig wird. Denn monotone, erschöpfende, sinnentleerte Arbeiten lassen sich jetzt problemlos an Maschinen abgeben. Übrig bleibt allerdings die Furcht davor, dass die Maschinenintelligenz (KI) irgendwann auch die höheren Arbeiten selbstständig erledigen kann.
Ist die Digitalisierung nun also eher Feind der Zwischenmenschlichkeit und Förderer kalter, auf Kosteneffizienz ausgerichteter Großkonzerne oder ist sie eine neue Chance in Konflikten eine neue Kommunikationsplattform für die Versöhnung einzubringen oder ist sie evtl. gar das Ende des von seiner Arbeit entfremdeten „Proletariats“, auf dass fortan alle nur noch sinnstiftende Jobs ausüben? Nähern wir uns dem Mitmenschen in einer digitalisierten Gesellschaft an, Blogs sind ja auch ein Ausdruck des neuen Gesellschaftslebens, oder entfernen wir uns, indem der physische Kontakt mehr und mehr abnimmt? Worin drückt sich wahre Zwischenmenschlichkeit aus? Wo der Mensch doch immer auch ein geistiges Wesen ist kann diese nicht auch nicht-körperliche Ausdrucksformen finden…?!
Vielleicht ist es wie bei allen Dingen: Es liegt am Menschen, wie er das Werkzeug einsetzt. Gibt es denn schon eine Digitalisierungsethik?
Die neue, digitale Zeit ist beides, Fluch und Segen. Auf der einen Seite sind mir fremde Menschen, je nach Plattform, auf der ich mich bewege, und je nach dem Maß meiner eigenen Offenheit so nah, wie nie zuvor. Das Ausnahme-Extrem – selbst meine Liebste habe ich auf diesem Wege kennen- und lieben gelernt.
Die andere Seite besteht aus einer Verkettung von Fehleinschätzungen. So sind die von Marx beklagten stupiden Arbeitsbedingungen keineswegs verschwunden, sie werden nur ausgegliedert, auf Subunternehmen, die ihrerseits Menschen für 20 Tage Urlaub und Mindestlohn knechten lassen.
Das es so etwas überhaupt gibt, hängt mit den Arbeitsbedingungen im Zeitalter Industrie 4.0 zusammen, mit dem Umfeld des „qualifizierten Facharbeiters“ im Zeitalter der totalen Kontrolle. Steht in einem solchen Unternehmen eine Fertigungsanlage, kann ein Manager am anderen Ende der Welt das beim Frühstück beispielsweise bequem auf seinem Phon sehen, Rückfragen stellen und Maßnahmen einleiten. Große LED-Schirme verkünden darüber hinaus stets jedem das aktuelle Arbeitsergebnis in % vom Soll der letzten Schichten. Auf diese Weise entsteht ein ungeheurer Druck und auch Konkurrenz-Kampf mit all seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter, auf das Betriebsklima und natürlich auch auf die Qualität, deren Mängel dann, um den Kreis zu schließen, von besagten niedrig qualifizierten und bezahlten Austausch-Kräften festgestellt und behoben werden müssen.
Diese Menschen werden teils als Ware über den Einkauf verwaltet, sie gelten noch nicht einmal als Personal … erniedrigend und beschämend ist das. Nicht alle machen das freiwillig mir, ein großer Teil von von der Arge unter Androhung von Sanktionen dorthin getreten.
„Segensreich“ mit Blick auf all dies sind die Erträge der Unternehmen und die Befriedigung der Geiz-ist-geil-Mentalität der Konsumenten, denen die Hintergründe, falls überhaupt bekannt, völlig wurscht sind. Oder, wie manchmal auch bei mir, in Kauf genommen werden. Es geht teilweise nicht anders – glücklich bin ich damit nicht.
Grüße !
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ich habe früher das Internet gehaßt, weil ich mich da nicht auskannte und weil Kinderpornos
darin abgelichtet sind und weil die Sünde dort grassiert, Kinder haben zu allem Zugang,
wie schrecklich! Andererseits braucht man kein Lexikon mehr und man kann sich großes Wissen aneignen, das ist ein Vorteil, den ich nicht mehr missen möchte. Man braucht keine
Briefmarke mehr und man muss nicht zur Post gehen. Vielleicht lernen wir in ein paar Jahren
nicht mehr schreiben in der Schule, die Digitalisierung greift auch im Schulwesen um sich.
Wenn das Internet ausfällt aufgrund eines kosmischen Unfalls, was machen wir dann?
Unsere Gesellschaft will so schnell wie möglich die besten Ergebnisse und das geht auf
Kosten der Zwischenmenschlichkeit, des Miteinanders, der Liebe. Wenn ich Kleidung brauche, gehe ich in einen Laden und plaudere beim Aussuchen mit der Verkäuferin,
das ist für mich eine Bereicherung oder ich sitze in ein Café und bitte jemanden um Feuer
für meine Zigarette.Ich diskutiere mit Menschen über mein Buch, das ich geschrieben habe.
Jeder Stadtbummel ist für mich was kostbares (willst Du ein Buch von mir erwerben?)
Jeder Tag ein Neuanfang trotz anhaltender Niedergeschlagenheit. Das Gute im Internet ist,
dass, wenn man schreibt, man dem anderen nahe ist und ich bin jedesmal glücklich, wenn mir einer zurückschreibt. Dies mein Kommentar.
Gefällt mirGefällt 1 Person